DAS GRAUEN DES KRIEGES, ERZäHLT AUS WEIBLICHER SICHT

Die Amerikanerin Lee Miller war zunächst Model und wurde dann als Kriegsfotografin weltberühmt. Filmstar Kate Winslet setzt ihr mit dem Film "Die Fotografin" ein würdiges Denkmal. Ab sofort im Kino.

Professionellen Fotografen kommt die Aufgabe zu, die Wirklichkeit in all ihren Facetten für die Nachwelt in Bildern festzuhalten. Umso mehr traf das zu Beginn und Mitte des letzten Jahrhunderts zu, als es noch keine für jeden verfügbaren Digitalkameras gab. Elizabeth "Lee" Miller, ehemaliges Model, war eine dieser Pionierinnen des modernen Foto-Journalismus und der Kriegsfotografie. Insbesondere ihre Bilder vom Grauen des 2. Weltkriegs leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Dokumentation dieses Kapitels der Geschichte.

Widerstände Lee Miller wird in "Die Fotografin" von Kate Winslet dargestellt, die den Film auch co-produzierte. Insgesamt befand er sich 8 Jahre in Entwicklung und hatte mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen, so dass Winselt im Laufe des Drehs für 2 Wochen sogar die gesamten Gehälter der Crew aus eigener Tasche zahlen musste, da das Geld ausgegangen war. Es war ihr Herzens-Projekt, im Zuge dessen Realisierung sie mit einigen Widerständen zu kämpfen hatte, wie sie in Interviews betonte: Insbesondere durch männliche Kollegen aus der Branche – ein Schicksal, das die Darstellerin mit ihrer Figur teilte.

Schwierige Drehbedingungen Auch sie, so Winselt, wurde mit ihrem Vorhaben, diesen Film zu realisieren, nicht ernst genommen und bevormundend behandelt. Hinzu kamen weitere Erschwernisse: Gleich am ersten Tag des Drehs stürzte sie bei Aufnahmen auf Klippen, musste ins Krankenhaus, Winslet entschied sich trotz schlimmer Rückenschmerzen und der Tatsache, dass sie kaum aufrecht stehen konnte, zum Weitermachen, so wichtig war ihr das Projekt.

Regie-Debüt Schließlich konnte "Die Fotografin" (Originaltitel schlicht "Lee") unter Regie von Ellen Kuras fertiggestellt werden, es ist ihr Regiedebüt, bisher war sie ausschließlich als Kamerafrau aktiv gewesen. Der Film feierte im September 2023 beim Toronto International Film Festival seine Weltpremiere. Vor wenigen Tagen lief der Film im Produktionsland Großbritannien im Kino an, nächste Woche steht noch der US-Start an.

Zähe Unnachgiebigkeit Es war also ein steiniger Weg von der Idee zum fertigen Produkt, der einiges an Zähheit und Unnachgiebigkeit erforderte. Auch diese teilt Kate Winslet offenbar mit Lee Miller, die in "Die Fotografin" als selbstbewusste, eigenwillige, eigenständige Frau porträtiert wird, die genau weiß, was sie will, aber von ihrer Umgebung stets Steine in den Weg gelegt bekommt.

Dolce Vita auf der britischen Insel Nach ihrer erfolgreichen Model-Karriere erlebt Lee die Vorkriegsphase Mitte der 1930er-Jahre in Europa, sie genießt das Leben mit Freunden im idyllischen Cornwall in Südengland. Zwischen angeregten Gesprächen, Alkohol, Parties und Sex wird auch die drohende Gefahr durch die Nazis auf dem Festland wahr-, aber zunächst noch sehr wenig ernst genommen.

Zweite Karriere In Cornwall lernt Lee auch den Maler und Galeristen Roland Penrose (Alexander Skarsgård) kennen. Die beiden verbringen eine leidenschaftliche Nacht, beginnen eine Affäre, verlieben sich ineinander. Sie zeigt Interesse an seinem künstlerischen Handwerk, die beiden ziehen gemeinsam nach London, wo sie ihre zweite Karriere als Fotografin beginnt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Hindernissen wird sie Fotografin für die englische Ausgabe der "Vogue".

Bilder aus dem Krieg Doch Lee Miller will mehr als oberflächliche Modefotografie: Während auf dem Festland schon der Krieg tobt und schließlich auch nach London überschwappt, begibt sie sich auf die zerstörten Straßen, in die Ruinen, um das Schicksal der Betroffenen mit ihrer Kamera festzuhalten. In den Fokus nimmt sie dabei vor allem weibliche Schicksale, von männlichen Fotografen oft vergessen. Abermals erst gegen Widerstände darf sie schließlich an die französische Front reisen, als erste und einzige weibliche Journalistin.

Die Frau in Hitlers Badewanne Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands bereist Miller die Konzentrationslager der Nazis, macht Bilder vom unfassbaren Grauen. In dieser Phase entsteht auch ihre wohl berühmteste Aufnahme. Mit ihrem Kollegen David Scherman (Andy Samberg) besucht sie Hitlers Münchner Residenz, lässt sich dort von ihm nackt, nur die Arme bedecken ihren Körper, in Hitlers Badewanne abbilden, neben ihr ein Bild des "Führers", vor der Wanne am Boden ihre dreckigen Stiefel: Eine geniale, subversive, inzwischen längst ikonische Fotografie.

Highlight Kate Winslet "Die Fotografin" schildert das bewegte Leben dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit als recht gewöhnliches Biopic, das sich nicht erheblich von den Genre-Konventionen abhebt. Regisseurin Ellen Kuras macht in ihrem Debüt einen soliden Job ohne große Highlights, aber auch ohne wirkliche Fehler. Der eigentliche Höhepunkt des Films ist fraglos Kate Winslet, die ihre Figur ungemein nahbar, authentisch und sympathisch darstellt.

Weibliche Perspektive Außergewöhnlich ist die Perspektive, die der Film einnimmt: Wie seine Protagonistin selbst, hat er die "weibliche Sicht" im Blick. In der Sphäre des Krieges, in der diese eine oft untergeordnete Rolle spielt – auch weil es meist Männer sind, die diese Kriege kämpfen – war die Arbeit von Lee Miller revolutionär. Ein "feministisches Biopic" ist inzwischen zwar weniger revolutionär, die Art und Weise, wie "Die Fotografin" das Leben und Wirken seiner Hauptfigur darstellt, ist aber in jedem Fall spannend.

Pionierin "Die Fotografin" beschränkt sich nicht darauf, Geschichte "neu zu schreiben" oder umzuschreiben, "strukturelle Missstände" anzuprangern oder zu belehren, sondern vermittelt auf anschauliche und nachvollziehbare Art und Weise, warum eigenständige und eigenwillige Persönlichkeiten wie Miller damals (und auch heute) gegen Widerstände zu kämpfen hatten (und haben). Wie mühsam das gewesen sein muss – und wie wichtig ihr Verdienst gerade deshalb war, weil sie an ihre "Mission" glaubte.

Fazit "Die Fotografin" ist ein solides Biopic. Es erzählt ein bedeutendes und vielen Menschen unbekanntes Kapitel der Geschichte des Foto-Journalismus und ist zudem ein ansehnliches Porträt einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die Pionierinnen-Arbeit leistete. Manche filmische Schwächen werden durch die überzeugende Darstellung von Kate Winslet kompensiert, die diesen Film, ihr Herzprojekt, auf ihren Schultern trägt.

"Die Fotografin", Großbritannien 2023, 116 Minuten, ab sofort im Kino

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